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Benutzer Diskussion:Wittuswitt
In den letzten beiden Ausgaben der mw klärte uns Richard Hatch sehr informativ und umfassend darüber auf, welcher Zauberer „Simsalabim“ in die Zauberszene eingeführt hat: Das Verdienst gebührt Dante, der es einem dänischen Volkslied entnommen hat. Hingegen darf sich Kalanag anrechnen, das Zauberwort weiter verbreitet zu haben – auch wenn ihm das seinerzeit nicht genug war und er die Urheberschaft für sich reklamierte. Damit ist der über Jahrzehnte scheinbar geklärte (zauber-) fachliche Streit neu entschieden. Ein Blick ins Internet zeigt, daß die Verwendung von „Simsalabim“ heutzutage bei weitem nicht auf die Fachwelt beschränkt ist; es finden sich viele private Homepages, auch Geschäftsleute unterschiedlichster Provenienz, die sich hiermit schmücken. Offen ließ Hatch, ob das alte deutsche Volkslied „Auf einem Baum ein Kuckuck saß“ oder sein dänisches Pendant zuerst da war. Einschlägige Lexika über Redensarten und die Etymologie der deutschen Sprache schweigen sich zu „Simsalabim“ bzw. -“dim“ leider komplett aus – anders als zu anderen Zaubersprüchen, dazu später mehr. Indes ist der Ursprung dieser Zauberformel noch weiter in der Vergangenheit zu suchen und geht auf keinen Geringeren als Mohammed zurück. Jede der 114 Suren des Korans beginnt nämlich mit den Worten „Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes“, arabisch „Bi-smi llahi rachmani rachimi“. Hieraus wurde verballhornt „Simsalabim“, und so dürfte dieses Wort mit der Zeit als Zungenbrecher in der verlängerten Form „Simsalabim bamba saladu saladim“ vielen Kindern Freude gemacht haben. Zungenbrecher hatten schließlich zu allen Zeiten Konjunktur, Verballhornungen ebenfalls, auch wenn diese nach einem Lübecker Buchdrucker namens Ballhorn erst seit dem 16. Jahrhundert so heißen. Zaubersprüche gibt und gab es genug, aber wohl nur zwei weitere, die international eine noch größere Karriere aufweisen können: „Abrakadabra“ und „Hokuspokus“. Beide haben ebenfalls Geschichte gemacht – oder besser Geschichten, da ihr Ursprung nicht eindeutig nur einer Quelle zuzuordnen ist. Und bei beiden spielt auch die Religion hinein.
Das Wort Abracadabra – beide Versionen, mit „k“ und „c“, sind fast weltweit verbreitet – ist ein uralter Zauberspruch. Früher wurde er von den alten moslemischen Magiern und Alchimisten verwendet. Nach einer Deutung soll dieser, wohl der älteste der drei Sprüche, auf den spätantiken Jahresgott Abraxas zurückgehen. In dieser Form erscheint der Gottesname in den hellenistischen Zauberpapyri und auf zahlreichen Amulettsteinen des Altertums und des Mittelalters. Der Name besteht aus sieben Buchstaben, entsprechend den sieben Tagen der Woche, und er hat den Zahlenwert 365, ebensoviel wie die Tage des Jahres. Plausibler ist die Lesart als (doppelt gemoppelte) hebräische Formel für die Dreifaltigkeit: Vater heißt hebräisch „aw“, abgekürzt „a“, Sohn ist „ben“, kurz „b“, Geist ist „ruach“, also „r“. Indes ist der Weg zum Abrakadabra noch weit, zumal das Hebräische nicht die Sprache des Christentums ist. Jesus sprach aramäisch, das Neue Testament wurde in der antiken Weltsprache Griechisch geschrieben. Abrakadabra könnte aber auch aus dem Aramäischen kommen. Dort gibt es nämlich den sogar bei Harry Potter vorkommenden Fluch „avada kedavra“. Und das bedeutet: „Möge dieses Ding zerstört werden!“ Es gibt aber noch eine Lesart: Im 3. Jahrhundert kannte der Arzt Quintus Serenus Sammonicus das Zauberwort als Beschwörungsformel bei Schnupfen und Fieber. Das Wort soll thrakischen Ursprungs sein und „Schaum und Asche“ bedeuten (Schaum = Schnupfen, Asche = Verbrennungsprodukt für Fieber). Danach hat also nicht eigentlich die Religion, wohl aber die Magie Abrakadabra begründet. Das Wort wird jedoch nicht nur als Zauberformel verwendet, sondern bedeutet von alters her auch „verworrene, unverständliche Äußerung“, im Englischen noch deutlicher „Kauderwelsch“. In derselben Bedeutung gebraucht es Goethe: „den Sinn eines solchen Abracadabra zu entziffern.“
Kaum einfacher ist Hokuspokus zu erklären. Dieses Zauberwort wird dadurch geadelt, daß es als einziges dieser drei schon im ersten Wörterbuch der deutschen Hochsprache, dem Adelung aus dem 18. Jahrhundert – also schon lange vor Grimm und Duden – recht ausführlich erwähnt wird. Adelung hält es für „ein im gemeinen Leben übliches von den Gauklern und Taschenspielern entlehntes Wort, welches dasselbe als einen sehr kräftigen und wirksamen Ausdruck bey ihren Künsten aussprechen. Hokus Pokus machen, Gaukeleyen, Blendwerk. Mache mir nicht solche Hokus Pokus, mache mir kein Blendwerk vor.“ Er sieht dieses Wort als „einen sinnlosen Schall“, ohne Hintergrund, an. Genau diesen vermutet dagegen die lange Zeit führende, schon sehr alte Deutung, die den Begriff eine Verballhornung für die lateinischen Wandlungsworte „Hoc est (enim) corpus (meus)“ (Das nämlich ist mein Leib) nennt, die der Priester in der Messe bei der Umwandlung von Brot und Wein spricht. Bis in die sechziger Jahre wurden die katholischen Messen weltweit einheitlich in lateinischer Sprache gefeiert. Anders als heute stand außerdem der Priester mit dem Rücken zur Gemeinde am Altar, der sich an der Vorderseite der Kirche befand. Das, was er lateinisch und laut betete, war für die Ohren der Gemeinde meist ein unverständliches Gemurmel, von dem sie nur Bruchstücke verstand. Diese Auslegung wird heute meist abgelehnt. Zu denken ist auch an die unsinnige Zauberformel aus dem 14. Jahrhundert „hax, pax, max, Deus adimax“, die 1624 in England in der Form „hocospocos“ erscheint und zehn Jahre später im Titel eines englischen Handbuchs der Taschenspielerkunst „Hocus Pocus junior“ wiederkehrt, ins Deutsche übertragen 1667. Im Deutschen sind aber bereits vorher die Titel „Hocus Pocus“, „Ox box“, „Ocos Bocos“, „Hogges und Pogges“ als Zaubersprüche belegt, 1650 nennt sich sogar ein Verleger leichtfertiger Geschichten „Ocus Bocus“. Noch einmal zurück zum Englischen: Zurückgeführt wurde Hokuspokus auch auf englisch „pocket“, die Tasche, und wallisisch „hocced“, was Betrug heißt. Und es gibt eine Steigerung, die sich ausnahmsweise eindeutig zuordnen läßt: Hokuspokus fidibus, als Redewendung, wenn man eine Sache verblüffend einfach erledigt hat. Diese stammt aus Ralph Benatzkys Operette „Bezauberndes Fräulein“. Wobei der Fidibus eigentlich als gefalteter Papierstreifen zum Feueranzünden bekannt ist. Zaubersprüche und -worte waren und sind wohl zu allen Zeiten in erster Linie Beschwörungsformeln, mit denen Effekte der Magie oder Zauberei erzielt werden sollen. Während sie sich aber früher an Götter richteten und Gebetscharakter hatten, waren sie später eher Beschwörungen, z. B. von Dämonen. Es ist deshalb nur natürlich, daß solche Formeln auch häufig in Märchen und Sagen anzutreffen sind. Wer kennt nicht aus seiner Kinder- und Jugendzeit das entscheidende Wort „Mutabor“ (lat. „verändere dich“), mit dem sich der Kalif Storch und sein Großwesir im Kunstmärchen von Wilhelm Hauff endlich wieder in Menschen verwandeln können? Und damit komme ich zum Schluß nochmal zurück zu „Simsalabim“, denn ein Rätsel um dieses Wort bleibt. Im Märchen „Ali Baba und die 40 Räuber“ („Geschichten aus 1001 Nacht“) kommt der berühmte Satz „Sesam, öffne dich“ vor. Das nicht ganz so bekannte, damit verwandte Volksmärchen „Simeliberg“ der Brüder Grimm nennt die Zauberformel „Berg Semsi, Berg Semsi, tu dich auf“ (bzw. „tu dich zu“). Und: In der schwäbischen Fassung dieses Märchens heißt bei E. Meier die Erlösung: „Simson, tu dich auf“. Ähnliche Fassungen gibt es in ausländischen Überlieferungen. Wenn man die erste Hälfte „unserer“ Zauberformel mit den drei Zauberwörtern aus den genannten Märchen vergleicht, stellt man eine verblüffende lautliche Ähnlichkeit fest:
SIMSA SESAM SEMSI SIMSON
Sollte das alles nur Zufall sein, oder gab es in grauer Vorzeit nicht doch ein höheres Wesen, eine Art Zauberer, der dieses Wort schon „vorgedacht“ hat?
Quellen Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart in 5 Bänden, 1774-1786. Küpper, Wörterbuch der deutschen Umgangssprache, Digitale Bibliothek, Band 36, Directmedia 2000. Osman, Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft, Verlag C. H. Beck 1982. Pfeifer, Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, dtv 2003. Röhrich, Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Herder spektrum 1994. Peter Köhler, Artikel „Basar der Bildungslücken“ in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ vom 05.12.1998. Redensarten-Etymologie des Verfassers u.a. auf www.psionwelt.de.